Sankt Martin – Geschichte der Pfarre Kirchsahr

  Kirchsahr um 1910

Die Pfarre Kirchsahr

Eine Kirche ist in Kirchsahr bereits für die Zeit um 1105 anzunehmen. Der erste sichere Beleg stammt aber erst aus dem Jahre 1302. Die zum Erzbistum Köln gehörende Pfarre umfasste die Orte Kirchsahr, Binzenbach, Burg und Mühle von Burgsahr, Hürnig und Winnen, das zur Herrschaft Wensburg gehörende Plittersdorf, das jülische Effelsberg (bis 1694) und das schweinheimische Scheuerheck sowie die später aufgegebenen Siedlung Hahn. Das Stift Münstereifel stellte den seit 1276 nachweisbaren Pfarrer, der wiederum einen Leutpriester mit der Wahrnehmung der priesterlichen Aufgaben vor Ort, der Führung der Tauf-, Ehe- und Sterberegister, der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten und der Aufsicht über Küster und Lehrer beauftragte. Die Pfarrer bestritten ihren Unterhalt aus den bei geistlichen oder kirchenrechtlichen Handlungen erhobenen Stolgebühren, aus Stiftungen, vor allem aber aus den ihnen zugewiesenen landwirtschaftlichen Einkünften (Wittum oder Widum).

Die Pfarrkirche St. Martin

Der heutige Kirchenbau trat 1729/1730 an die Stelle des bereits 1680 als baufällig bezeichneten Vorgängerbaus. 1677 hatte ein Feuer großen Schaden angerichtet.

    St. Martin 1927

Ein Hinweis auf das Alter des Vorgängerbaus könnte in den beiden Jahreszahlen 1300 und 1730 zu finden sein, die im später entstandenen Flachbogen der Westtür eingemeißelt sind.

Die Innenausstattung

Seit 1760 beherbergt die Kirche den weit über die Gemeinde hinaus bekannten Flügelaltar, der im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts für die Stiftskirche Münstereifel angefertigt worden war. Die Außenseiten der Altarflügel zeigen den Apostel Petrus als den ursprünglichen Patron der Stiftskirche, den Ordensgründer Benedikt und die Stiftspatrone Chrysantus und Daria. Chrysantus und Daria waren während der Christenverfolgung des römischen Kaisers Diokletian (284-305) um das Jahr 304 als Märtyrer gestorben und in Rom beigesetzt worden. Ihre Reliquien gelangten 844 von Rom nach Prüm und von dort vier Jahre später nach Münstereifel.

    Flügelaltar (um 1500)

Die Innenseiten des Altars stellen je sechs Szenen aus dem Leben Christi dar. Die Mitteltafel zeigt an den Seiten in ähnlichem Format je drei Passionsszenen und in der Mitte die Kreuzigung. Unter dem Kreuz kniet der Stifter in der Gestalt eines Benediktiners, aus dessen Händen sich ein Spruchband emporschwingt.

Der Name des Malers ist nicht bekannt, das Altarbild lässt sich aber anhand bestimmter Form- und Stilelemente einer Gruppe von Kölner Künstlern zurechnen, die nach einem ihrer herausragenden Vertreter Meister-Wilhelm-Schule genannt wird. Unter den zu dieser Zeit in der Kölner Malerschule tätigen Meistern befand sich ein Maler, der mit einem für die Kapelle des Kölner Armenhospitals St. Heribert angefertigten Flügelaltar der Heiligen Sippe die größte künstlerische Nähe zum Meister des Kirchsahrer Altars zeigt. Lange Zeit galt der Altar als sein Werk. Heute sieht man den Meister des Kirchsahrer Altars dagegen als eine eigenständige Künstlerpersönlichkeit.

Wie der Altar seinen Weg nach Kirchsahr gefunden hat, bleibt unklar und so hat sich bald eine Legende herausgebildet, die das Rätsel in anschaulicher Weise erhellen sollte. Der Überlieferung nach hatte der damalige Pfarrer von Kirchsahr, Johann Cremer, die Stiftsherren mit einer Predigt beeindruckt. Sie stellten ihm daraufhin einen Wunsch frei und er wählte den Dreiflügelaltar. Die Überführung des Altars ist unzweifelhaft in die Zeit des Pfarrers Johann Cremer gefallen. Sein Verdienst und die Großzügigkeit der Stiftsherren erscheinen vor dem Hintergrund eines veränderten Zeitgeschmacks jedoch in einem bescheideneren Licht. Auch in Münstereifel hatte inzwischen der Barockstil Einzug gehalten. Schon am Ende des 17. Jahrhunderts hatten die Stiftsherren mit der barocken Umgestaltung ihrer Kirche begonnen und im Verlaufe der bis etwa 1722 andauernden Arbeiten auch einen neuen Hochaltar zu Ehren der beiden Märtyrer in Auftrag gegeben. Der alte Flügelaltar verstaubte auf einem Speicher. Umbauarbeiten boten in den 1760er Jahren die Gelegenheit den Altar auszutauschen. Für einen neuen Hauptaltar hatten aber die Pfarrherren aufzukommen. Die Stiftsherren scheuten die Ausgabe und griffen stattdessen auf den achtlos zur Seite gestellten Altar zurück. Für ihre entlegenste Pfarrkirche schien das völlig aus der Mode gekommene Kunstwerk gerade gut genug.

Die Bedeutung des gotischen Flügelaltars erkannte man erst im 19. Jahrhundert, als sich die Romantik dem Mittelalter in einer idealisierenden Rückschau zuwandte und in der Gotik den stärksten Ausdruck dieser Gefühle sah. Eine erste Instandsetzung erfolgte 1862/1863 mit nur mäßigem Erfolg vor Ort. Nach der jüngsten Überarbeitung zeigt es sich seit 2007 wieder in seiner ursprünglichen Schönheit. Besondere Beachtung fand der Altar am 19. August 1956, als der damalige Bundespräsident, Theodor Heuss, einen Kuraufenthalt in Münstereifel für einen kurzen Besuch nutzte.

In einer Nische der rechten Langhausseite steht eine Figuren-gruppe mit dem Heiligen Martin zu Pferd und dem Bettler und einem Engel als Nebenfiguren. Die 1717 gestiftete Holzfigur zeigt den Kirchenpatron in römischer Rüstung. Der Bildhauer hat mit Reiterstiefeln und Sattelpistole aber auch Attribute seiner Zeit gewählt. Der Engel hält mit Stab und Mitra die Insignien eines Bischofs in den Händen.

       Mariendarstellungen

Auf der gegenüberliegenden Seite hängt die Figur der Muttergottes. Sie steht auf dem Halbmond, die von ihr ausgehenden Strahlen münden in die Perlen eines Rosenkranzes. In der Rechten hält sie ein Schwert, auf der Linken sitzt der Jesusknabe. Das Kind hält in seiner linken Hand an einem Mittelzopf einen Kopf mit langem Schnurbart. Die um 1720 entstandene, 1,65 Meter hohe Figur gibt sich damit als so genannte „Türkenmadonna“ zu erkennen. Solche Darstellungen fanden als Votivgabe nach der erfolgreichen Abwehr der Türken vor Wien im Jahre 1683 und nach dem endgültigen Ende der Türkenkriege im Jahre 1717 vor allem in den österreichisch-ungarischen Gebieten weite Verbreitung. Maria galt seit 1480 und besonders nach Beendigung der ersten Belagerung Wiens (1529) als Patronin im Kampf gegen die nach Mitteleuropa vorgedrungenen Türken. Als Rosenkranzmadonna ist sie dann kurz nach der Seeschlacht bei Lepanto zum Sinnbild für die Siege über die Türken geworden. Im Rheinland sind Türkenmadonnen selten. Hinter den Darstellungen steht der grausame Brauch der Türkenkriege, dem getöteten Feind den Kopf abzutrennen. In Leipzig sollen Kaufleute auf der Neujahrs-Messe des Jahres 1684 sogar solche Köpfe, die vor allem wegen ihrer Haar- und Barttracht auffielen, in Fässern angeliefert und verkauft haben.

Die Kanzel mit den Brustbildern der vier Evangelisten stammt von 1754. Unter der Orgelempore hängt an der rechten Wand die Figur des Hl. Hubertus, gegenüber die des Hl. Mathäus.

   

1867 kaufte die Gemeinde eine Orgel, die bis dahin in der Pfarrkirche von Altenahr gestanden hatte. Sehr wahrscheinlich stammt sie aus der Werkstatt des Orgelbauers Balthasar König, der von 1711 bis 1735 in Münstereifel und anschließend bis 1756 in Köln tätig war.

Das Pfarrhaus

Ein Pfarrhaus ist seit etwa 1600 schriftlich belegt. 1897-1899 entstand in weitgehender Eigenleistung der heutige Bau am Dorfplatz unterhalb der Kirche (2020 renoviert, in Privatbesitz).

    

Autor: F-J Verscharen